Voluntourismus- Wenn Helfen das Gegenteil bewirkt

Auszug aus den Gedanken einer Volontärin

In einem Waisenhaus in Sri Lanka beeinträchtigten Kindern helfen, einen Brunnen in Afrika bauen, oder vielleicht doch lieber in Kambodscha in einer kleinen Dorfschule Kinder unterrichten? Es gibt so viele Möglichkeiten ein Volontariat bzw. freiwillige Arbeit im Ausland zu leisten. Das Internet ist voll mit Angeboten.  Und das europäische Interesse, derartige Hilfsprojekte zu unterstützen, ist so hoch wie nie zuvor. Gerade deswegen ist es wichtig dabei kritisch zu sein, Hilfsprojekte zu hinterfragen und sich selbst und seine Fähigkeiten gut einzuschätzen. Nachfolgend ein paar meiner Gedanken zum Thema Voluntourismus.

Den Fachhochschulabschluss als „Ergotherapeutin“ so gut wie in der Tasche und noch absolut keine Lust ins harte Arbeitsleben einzusteigen. „Was kostet die Welt“, denke ich mir, „ich will längere Zeit weg, hinaus in die Ferne, neue Kulturen kennenlernen, raus aus meiner Komfortzone, ich will nicht nur sinnbefreit herumreisen, sondern längere Zeit an einem Ort sein, um die Menschen und ihre Kultur näher kennenlernen und verstehen.“ Und wie könnten das alles besser umsetzbar sein, als mit Hilfe eines sozialen Hilfsprojektes. Zusammenarbeiten mit Menschen, ihnen helfen und dabei mich selbst weiterentwickeln, das war mein Plan.

So ungefähr sahen die Bilder in meinem Kopf aus.

Euphorisch erzählte ich also meiner Mitbewohnerin und gleichzeitig besten Freundin von meinem Vorhaben ein Volontariat zu machen. Doch statt meine Euphorie zu teilen, klärte sie mich erstmal über „den Schein des Helfens“ auf. Sie war selbst ein Jahr in Malawi, einem kleinen Land im Südosten Afrikas, als Volontärin in einem Sport- und Jugendzentrum tätig. Daraufhin hatte sie begonnen „Kultur- und Sozialanthropologie“ und stand meinem Vorhaben eher kritisch gegenüber.  So erzählte sie mir davon, dass es in Afrika (und auch in Asien, wie ich durch meine Recherchen erfuhr) unzählige Waisenhäuser gibt, wo die untergebrachten Kinder oft gar keine Waisen sind. Es handelt sich um privat geführte Waisenhäuser, die es nur deshalb gibt, weil sich mit den Kindern gutes Geld verdienen lässt und Freiwillige aus Industrieländern gerne viel Geld (über 1000€ für einige Wochen) zahlen, um zu „helfen“. Die Kinder haben meist noch Eltern, werden jedoch in einem Waisenhaus aufgezogen, weil die Eltern dafür etwas Geld bekommen und auf gute Bildung für ihre Kinder hoffen. Somit werden die Kinder ihres Rechts beraubt, bei ihren Eltern aufzuwachsen, was sowohl ihrer körperlichen, sowie seelischen Entwicklung schadet.

Leuchtende Kinderaugen, hinter denen oft eine traurige Geschichte steckt.

So schrecklich allein dieser Gedanke ist, wenn man sich dann noch vorstellt, dass die dort arbeitenden Volontäre im Wochentakt wechseln und die Kinder sich alle paar Wochen an eine andere Person gewöhnen müssen, wird einem schlichtweg übel. Da braucht es nicht viel Wissen über Bindungstheorien, da reicht unser „Hausverstand“, um zu verstehen, dass es kontraproduktiv ist, Kindern einen so raschen Wechsel an Betreuungspersonen zu zumuten. Doch was die Bedürfnisse und Erfordernisse der Menschen in den Entwicklungsländern sind, spielt oft leider kaum eine Rolle. Die Kundenwünsche, und dass damit in Zusammenhang fließende Geld, kreiert die Spielregeln. So gibt es leider immer mehr einwöchige Angebote.

Doch Abseits vom Voluntourismus im Bereich der Arbeit mit Kindern, haben Freiwillige, die „Entwicklungsarbeit“ leisten einen erheblichen Einfluss auf den lokalen Arbeitsmarkt, die Weiterentwicklung des Landes und dadurch direkt auf die Wirtschaft.  „Nach dem Erdbeben in Haiti und Nepal etwa habe sich die Ankunft qualifizierter Hilfskräfte verzögert, weil freie Verkehrswege dazu benutzt worden seien, sogenannte Voluntouristen im Katastrophengebiet herumzukutschieren“, schreibt die Neue Züricher Zeitung (2016). Solche „Helfer“ sind oftmals Konkurrenz für die einheimischen Arbeitskräfte, da sie Geld dafür zahlen, um Arbeiten zu verrichten, welche die lokale Bevölkerung tun könnte.

Straßen in Nepal (Birgunk)

Viele Aspekte, die man als Volontär berücksichtigen und immer im Kopf haben sollte! Mein Fazit aus Gesprächen und Recherchen ist daher folgendes:

Kinder sind keine Touristenattraktion! Unausgebildete Volontäre richten oft mehr Schaden an, als dass sie helfen! Sinnvoll ist ein längerer Aufenthalt von mehreren Monaten! Wer nachhaltig helfen will, sollte die Projekte daher kritisch hinterfragen und sich seiner eigenen Fähigkeiten und Grenzen bewusst sein!

Meine Sehnsucht ins Ausland zu gehen und mich bei einem Projekt einzubringen, war trotz Recherche noch immer da. Doch nun sah ich das Ganze mit anderen Augen und war sehr kritisch bei meiner Wahl. Ich suchte nur nach Projekten, wo ich als „Freiwillige“ nicht für meine „freiwillige Arbeit“ zahlen muss, sondern mit „Kost und Logie“ bezahlt werde. Mir war es wichtig lokal, also direkt vor Ort zu wohnen. Ich wollte mindestens 2 Monate vor Ort sein. Ich wollte mich in ein bestehendes und von lokalen Leuten betriebenes System einbringen und mitgestalten. Wichtig war es mir jedoch, dass dieses System nachhaltig ist, also nach meiner Abreise weiter besteht und weiterentwickelt wird. Essenziell war es auch, mir über meine eigenen Fähigkeiten und Grenzen Gedanken zu machen. Was kann ich gut, was sind meine Ressourcen? Was fällt mir schwer, wo könnten Schwierigkeiten auftauchen? Um diese Fragen gut beantworten zu können, bedarf es ausreichend Wissen über die Tätigkeit als Volontär, die Umstände vor Ort und die Kultur. Im besten Fall Kontakt aufnehmen mit einem Freiwilligen bzw. einer Freiwilligen, welche/r vor Ort war und mir die Situation und die persönliche Sichtweise schildern kann!

In diesem Sinne: Sei dir bewusst, wie du helfen willst, denn „gut gemeint ist oft das Gegenteil von gut!“

Verfasst von Kristina Begusch, Volontärin und Mitglied von ChildVision Nepal

Quellen:

Süddeutsche Zeitung (2018). Einsätze in Waisenhäusern oder Kinderheimen sind ein großes Problem. Süddeutsche Zeitung. Abgerufen am 20.03.2020, von  https://www.sueddeutsche.de/reise/voluntourismus-einsaetze-in-waisenhaeusern-oder-kinderheimen-sind-ein-grosses-problem-1.3905360

Bartlett, K. (2014). Voluntourismus – Ausbeutung oder gute Tat? Die Welt. Abgerufen am 20.03.2020, von https://www.welt.de/reise/Fern/article130063954/Voluntourismus-Ausbeutung-oder-gute-Tat.html

Neubauer, D. (2015). Zahlende Helfer im Zwielicht. Die Furche. Abgerufen am 20.03.2020, von https://www.furche.at/gesellschaft/zahlende-helfer-im-zwielicht-1281173

Neue Zürcher Zeitung (2016). Die dunklen Seiten des guten Willes. Neue Zürcher Zeitung. Abgerufen am 20.03.2020, von https://www.nzz.ch/gesellschaft/lebensart/gesellschaft/die-dunklen-seiten-des-guten-willes-1.18714595