Erfahrungsbericht von Volunteer Daniela Diemling:
Anfang 2020 verbrachte ich zusammen mit einer Freundin zwei Monate als Freiwillige im Süden Nepals in der Stadt Birgunj. Der Verein ChildVision Nepal aus Oberösterreich unterstützt dort zwei Schulen, an welchen ich unterrichtete. Das 30 Millionen Einwohnerland stellt man sich als landschaftlich wahrgewordenen Traum mit malerischen Bergkulissen, kultureller Vielfalt und tiefgehenden Traditionen vor. Diese Aspekte treffen auch zu und sind deshalb unbedingt eine Reise in das südasiatische Land wert. Wenn man jedoch genauer hinsieht, sind die Armut und die tiefergehenden Probleme des Landes schnell erkennbar. In Nepal trifft das Sprichwort „Man arbeitet zum Leben“ zu, jedoch hat nicht jeder die Möglichkeit Arbeit zu finden, was das Überleben schwierig macht.
Müll auf den Straßen, zu wenig zu essen, löchrige Kleidung, fehlende Unterwäsche, unzureichende Hygienemöglichkeiten, kein Recht auf Bildung – und trotzdem glücklich und zufrieden mit dem, was Dalit Kinder in Nepal haben. Dalits – auch genannt die „Unberührbaren“ – sind die Menschen der untersten sozialen Schicht im Kastensystem. Obwohl das Kastensystem offiziell längst abgeschafft wurde, bestimmt es nach wie vor das tägliche Leben der Nepales*innen, wie etwa Behausung, Bildung, Nahrung, Beruf, Kleidung, Ehepartner und Freundschaften. Man wird in die Kaste hineingeboren und kann diese in den seltensten Fällen verlassen. Die Dalits haben somit ihr Leben lang mit Diskriminierung, Vorurteilen und sozialer Ausgrenzung zu kämpfen. 67% von ihnen sind Analphabet*innen und können somit weder lesen noch schreiben. Dies hat zur Folge, dass sie zum Beispiel keine Dokumente lesen können und Nepali, die offizielle Landessprache nicht beherrschen und somit ihr Leben lang von anderen Personen abhängig sind.
Kindern aus der untersten Kaste ist es verboten, eine Schule in der Stadt mit anderen Kastenmitgliedern zu besuchen. Im Slum außerhalb von Birgunj, wo sie gemeinsam mit ihrer Familie und Tieren auf engsten Raum in Lehmhäuser wohnen, gibt es jedoch zu wenig Bildungsangebot. Um Dalits zu mehr Unabhängigkeit, Freiheit und Chancen zu verhelfen, haben Brigitte und Heinz Söllinger aus Oberösterreich die Organisation ChildVision Nepal ins Leben gerufen. Unter dem Leitgedanken „Gib den Kindern eine Angel und nicht einen Fisch“ wollen sie im Land eine nachhaltige Veränderung durch Bildungsmöglichkeiten schaffen. Der Verein unterstützt zwei Schulen in Birgunj: zum einen die Gefängnisschule, wo Kindern von inhaftierten Müttern und Straßenkinder unterrichtet werden, und zum anderen die Slumschule, die Anamika ChildVision School, welche von Dalit Kindern besucht wird. Dort setzt Brigitte auf eine 80% Mädchenquote, denn vor allem Frauen sind in Nepal von der Chancenlosigkeit betroffen und haben ohne Bildung wenig Wert für die Familie. Mädchen werden dadurch oft Opfer von
Prostitution, Kinderhandel, Kinderehe und Gewalt. Für uns nicht vorstellbar, aber Familien verkaufen wirklich ihre eigenen Kinder für wenig Geld.
Die Direktorin der Schulen, Anamika, wurde selbst mit 13 Jahren von Indien nach Nepal an einen deutlich älteren Mann verheiratet und wurde mit 14 Jahren zum ersten Mal Mutter. Sie hat einen sehr unterstützenden Ehemann, der ihr die Freiheit gab, ihre Träume zu verwirklichen und sie dabei begleitet. Dies ist eine Ausnahme im Land, da eine Frau normalerweise von ihrem Mann als Besitz angesehen wird. Somit wurde Anamika Lehrerin in der Gefängnisschule, wo sie 2015 auf Brigitte und Heinz traf – der Beginn von ChildVision Nepal.
Die Drei waren sich einig: durch Bildung erlangen besonders Mädchen an Wert und können aus den Fesseln der religiösen Vorschriften des Hinduismus entfliehen. Sobald Mädchen ihre Periode bekommen, sind sie heiratsfähig und schlüpfen in die Rolle der Hausfrau und Mutter – somit ist Bildung und somit ein unabhängiges Leben außer Reichweite für sie. Während ihrer Menstruation gelten Frauen als unrein und dürfen somit nicht mit ihrer Familie essen und müssen meist im Stall schlafen. Auch ihrem Mann gegenüber hat eine Frau wenig bis keine Rechte. Sie darf zum Beispiel erst zu essen beginnen, wenn ihr Ehemann damit fertig ist und muss ihn um Erlaubnis bitten, dass Haus zu verlassen. Eine ungebildete Frau ordnet sich widerstandslos unter und lebt ohne jegliche Selbstbestimmung.
Wie wichtig Lernen für die Menschen ist, war während meiner Zeit in Birgunj allgegenwärtig. Angekommen in der Stadt war ich zuerst von den Lebensumständen vor Ort geschockt. Müll wohin ich blickte, ein Loch im Boden als Klo, Mäuse im Schlafzimmer und gewöhnungsbedürftige Hygieneumstände in der Küche. Ich musste tief schlucken und das Wort Kulturschock reichte nicht mal annährend, um meine anfängliche Gefühlswelt zu beschreiben.
Doch der erste Schulbesuch zeigte mir, wieso ich hier bin und auch sein wollte: obwohl die Kinder nichts haben, sind sie lebensfroh und versprühen positive Energie und Herzlichkeit. Der tägliche Schulbesuch ist für sie ein Highlight und sie sind froh lernen zu dürfen. Ein High five oder ein gemeinsam gesungenes Lied lässt sie schon über beide Ohren strahlen. Das Unterrichten war ein Geben und Nehmen, denn ich gab den Kindern Wissen und durch die Euphorie der Kinder konnte ich Glückseligkeit und Erfüllung mitnehmen.
Schnell merkte ich, dass für die Kinder Schule viel mehr als „nur“ lernen ist: sie bekommen dort Sicherheit, warme Mahlzeiten, Medizin und Hygiene. Wir kauften zum Beispiel einen Boiler und duschten die Kinder wöchentlich, da sie zu Hause kaum Hygienemöglichkeiten haben. Beim Duschen merkte ich, dass die Kinder mehrere Kleiderschichten anhaben, um sich warm zu halten. Unterwäsche hatten die wenigsten. Brigitte hat für die Kinder Schuluniformen inklusive Schuhe organisiert. Ein eigenes Paar Schuhe, welche ganz waren und dazu auch noch passten – unvorstellbar für die Kinder.
Meine Zeit in Nepal war sehr bereichernd für mich und ich wurde mir wieder über die wundervolle Verantwortung als Lehrerin bewusst. Unterrichten ist viel mehr als nur im Klassenzimmer zu stehen und den SchülerInnen etwas beizubringen. Als Lehrperson begleitet man sie bei ihrer
Entwicklung und hilft ihnen persönlich, sozial und emotional zu wachsen. Bei uns in Österreich wird Bildung als selbstverständlich angesehen und wir alle kennen die Tage, an denen uns der Schulbesuch genervt hat und nur als reine Pflicht gesehen wurde. In Nepal ist es anders: hier wollen die Kinder lernen, haben jedoch oft keine Möglichkeit dazu. Die Kinder, die ich kennen lernen durfte, waren aufgeregt in die Schule zu gehen und neue Dinge zu lernen.
Auch die Lebensweise der Nepales*innen war lehrreich für mich. Sie haben so wenig und geben doch so viel. Die Slumbewohner luden uns zum Beispiel am Heimweg zum Tee ein und gaben Abschiedsgeschenke, obwohl sie selbst kaum etwas besitzen. Sie sind sehr gastfreundlich und lieben es über ihre Kultur zu erzählen und ihre Traditionen mit uns Fremden zu teilen. Die nepalesische Küche ist außerdem eine Klasse für sich.
Brigitte sagte so schön: „In Österreich geboren zu werden ist wie ein Lotteriegewinn.“ Wo sie recht hat, hat sie recht. Ich glaube, dass wir uns öfters bewusst machen sollten, unter welch hohen Standards wir eigentlich leben dürfen im Vergleich zu einem Land wie Nepal, wir unseren Luxus aber viel zu oft als selbstverständlich nehmen. Die Menschen im Slum teilen sich ein Zimmer mit ihrer ganzen Familie, müssen sich Wasser an der Wasserpumpe holen, haben keinen Supermarkt voller Auswahlmöglichkeiten geschweige denn Geld dafür und tragen an kalten Tagen ihren ganzen Kleiderschrank, um sich warm zu halten.
Einerseits brach es mir das Herz zu sehen, wie diese Kinder fernab von österreichischen Standards aufwachsen müssen. Andererseits gab es mir Hoffnung, dass diese Kinder etwas aus ihrem Leben machen können – dank ChildVision Nepal.
Dich hat meine Erfahrung zum Nachdenken gebracht und du willst mehr darüber erfahren?
Mehr Infos zu den Projekten findest du auf childvisionnepal.com oder du kannst auch gerne mich direkt kontaktieren (daniela.diemling@gmail.com).
Die Bildung der Kinder von ChildVision Nepal wird durch Spenden finanziert. Dabei ist schon jeder Euro hilfreich, wovon kein Cent in administrative Kosten geht. Du kannst auch eine
monatliche Patenschaft übernehmen, womit du täglich warme Mahlzeiten, Erhalt und Ausbau der Schulen, Unterrichtsmaterialien, Schuluniform, Lehrergehälter und medizinische Versorgung für ein Kind übernimmst.
Es werden auch laufend Freiwillige gesucht, die in Nepal als LehrerIn und UnterstützerIn aktiv werden wollen. Dafür ist nicht zwingend eine pädagogische Ausbildung nötig, denn durch deine Erfahrungen im österreichischen Schulsystem kannst du in Nepal schon viel bewirken.
Spendenkonto
Kontoname: Brigitte und Heinz Söllinger
Kennwort: NEPAL
IBAN: AT97 3431 3003 0001 9315 Kontakt: b.soellinger@gmx.at oder childvision.nepal@outlook.com