„DIE STILLE REVOLUTION DER MÄDCHEN – DER STILLE RUF AUS NEPAL“
Nach zwei Jahren der Corona Pandemie konnten mein Mann und ich im Frühling 2022 wieder nach Nepal reisen und unsere Projekte vor Ort besuchen. Vieles hat sich auch in diesem Land durch Corona und den Ukrainekrieg verändert. Die Leute haben noch weniger und das Leid ist noch größer geworden. Viele furchtbare Nachrichten erreichten uns während der Pandemie. Mädchen sind verschwunden, wurden mit 12 Jahren verheiratet. Mütter haben sich umgebracht und teilweise ihre Kinder in den Freitod mitgenommen. Coronainfizierte wurden auf den Straßen abgelegt und ihrem Schicksal überlassen. Die Eltern unserer Kinder haben aufgrund des strengen Lockdowns ihre Tagesarbeiten verloren und es gab oft tagelang nichts mehr zu essen. Die großen Gewinner in der Pandemie waren die Menschenhändler, die ihre „Ware“ (Kinder ab 3 Jahren und junge Frauen) am Markt anbieten konnten. Diese Kinder und Frauen landen bis zum heutigen Tag in Bordellen (oftmals bis zu 40 Kunden pro Tag), in illegalen indischen Krankenhäusern als Organspender und als Arbeitssklaven. Die inoffizielle Zahl an verschwundenen Kindern und Frauen liegt bei 25 000 bis 28 000 Menschen pro Jahr. Das große Problem stellt der Exodus von Vätern in die VAE, Katar, Saudi-Arabien dar. Jeden Tag verlassen ca. 2000 Menschen das Land, um als Arbeitssklaven Geld zu verdienen. Diese Menschen müssen 2000 Euro Vermittlungsgebühr bezahlen, um eine Arbeitsstelle für 220 bis 450 Dollar pro Monat zu bekommen. Sie nehmen Kredite auf, zahlen 36% Zinsen und arbeiten somit oft sechs bis acht Monate gratis. Die Familien daheim sind auf die monatlichen Überweisungen angewiesen. Wenn diese ausfallen, beginnen Frauen und Mädchen zu hungern. Sie sind die ersten Opfer. Viele Mütter sehen dann als einzigen Ausweg den Suizid und nehmen oftmals ihre Töchter mit in den Freitod. Wichtig ist auch, dass wir uns in Europa von der Vorstellung verabschieden, dass die Menschen in Entwicklungsländern viel glücklicher sind. Nepal hat eine enorm hohe Frauenselbstmordrate.
Die heurige Reise nach Nepal hat uns sehr viel an Resilienz abverlangt. Die Situation in unseren Dörfern erinnert an Erzählungen aus dem Mittelalter. Trotz vieler Hürden ist es gelungen, unsere 276 Kinder in unseren drei Schulen mit Bildung und Essen zu versorgen. Die größte Hürde für uns stellt die patriarchalische Denkweise dar. Mädchen und Frauen aus der Gruppe der Dalits (unterste Kaste) sind wertlos. Nach wie vor werden neugeborene Mädchen nach der Geburt auf den Feldern liegengelassen, weil die Frauen nicht mit unnötigen Essern heimkehren wollen. Dalitfrauen müssen außerhalb gebären, weil Blut die Götter erzürnt und somit Unglück über alle Familienmitglieder kommt. Immer wieder müssen wir bei den Vätern darum kämpfen, ihre Töchter in unsere Schulen zu schicken. Gebildete Frauen stellen eine Gefahr für das Patriarchat dar.
Wir haben es unter anderem geschafft, dass wir Badimädchen in die Bildung holen. Die Ethnie der Badis lebt seit 70 Jahren von der Prostitution. Alle weiblichen Familienmitglieder gehen ab dem 10. Lebensjahr in ihren Hütten der Prostitution nach – Großmütter – Mütter – Töchter – alle unter einem Dach. Das Geld bekommen die Männer der Familie.
Bei unserem letzten Besuch konnten wir unsere Schule in einem Lepradorf eröffnen. Viele Leprakranke sind während der Pandemie verhungert, weil das Betteln verboten war. Die 82 Kinder sind überglücklich, bei uns lernen zu dürfen und mit einem täglich warmen Essen versorgt zu werden.
Innerhalb der letzten sechs Jahre in Nepal haben wir es mit sehr viel Mühe und Aufwand geschafft, 276 Kinder in unseren drei Schulen (in einem Gefängnis, in einem Slum, in einem Lepradorf) unterbringen zu können. Wir haben tote Kinderaugen wieder zum Leuchten gebracht und diese jungen Menschen glauben wieder an ihre Zukunft. Sie genießen unseren Schutz vor Gewalt und Mädchenhändlern und sie haben ihre Würde, Mädchen zu sein, zurückbekommen. Alles, was sie brauchen, stellen wir zur Verfügung: Bildung, Bücher, Uniformen, warme Kleidung, Medikamente.
15 unserer Mädchen sind in der Coronazeit zu Waisen bzw. Halbwaisen geworden. Diese können wir seit November 2022 in einem Hostel unterbringen und sind somit keine schutzlosen Straßenkinder mehr und entgehen der Gefahr, in Bordellen zu landen.
In den letzten vier Jahren haben insgesamt 12 Volontärinnen bei uns gearbeitet. Alle kommen mit einem anderen Denken und mit neuer Lebensweise nach Österreich zurück – glücklich, diese Erfahrung gemacht zu haben. „Hier tickt die Welt ganz anders…raus aus der Komfortzone – ein Sprung, der sich lohnt! Danke für diese einmalige Erfahrung – es bleibt unvergesslich!“ (Aussage Kerstin und Elisabeth aus OÖ, 2022) …falls Sie jemand kennen, der in Nepal mitarbeiten möchte, bitte geben Sie unseren Kontakt weiter.
Abschließend ein ganz großes DANKE für Ihre Unterstützung! Ohne diese wäre es uns nicht möglich, diese Kinder aus einer nahezu ausweglosen Lebenswelt zu holen. Vielleicht hören auch Sie den stillen Ruf unserer Kinder. Es ist die stille Revolution der Mädchen. Mit Bildung – nicht mit Gewalt – können sie einen neuen Weg einschlagen. „Fesseln lösen mit Bildung“ – das ist unsere Vision.
Eine Patenschaft kostet 70 Cent pro Tag (20 Euro /Monat). Damit können wir täglich warmes Essen, Uniformen, Bücher und Hefte, Lehrergehälter und Medikamente/ Impfungen bezahlen. Jeder gespendete Euro geht an unsere Kinder. In unserer Organisation fallen keinerlei administrative Kosten an – diese übernehmen wir privat.
NAMASTE!
Ein gesegnetes Weihnachtsfest und ein gesundes Jahr 2023!
Brigitte und Heinz Söllinger